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Hemd nach dem Viborg Fund

Der Hemdfund aus Viborg/Dänemark ist ein großer Glücksfall. Pflanzliche Textilien erhalten sich nur sehr selten im Boden, aber dieses Hemd überdauerte die Jahrhunderte in einem luftdichten Hohlraum im Boden. Es ist stark fragmentiert, jedoch so gut erhalten das man viele unterschiedliche Sticharten und an vielen Schnittteilen die Webkanten erkennen kann.

Es ist sorgfältig und raffiniert verarbeitet, so das es ein sehr komfortables Kleidungsstück gewesen sein muss. Der Clou dieses Hemdes ist, das es am Oberkörper aus doppellagigem Leinen besteht. Die Kopföffnung ist dabei so gearbeitet, das der Kopfschlitz verdeckt ist. 

Aus Neugier und Faszination wollte ich ein ähnliches Hemd für einen Freund nacharbeiten.

 

In der Publikation von Mytte Fentz ist der wahrscheinliche Zuschnitt des Hemdes skizziert. Die Stoffbahn aus der das Hemd geschneidert war, war vermutlich 95cm breit. Um den Stoffverschnitt möglichst gering zu halten, wurden einige Teile zusammengesetzt : das Innenteil des Brustteils und die beiden Ärmel.

Das Leinengewebe selbst war im Schuss dicker als in der Kette, was dem Textil sicherlich ein besonderes Aussehen verlieh.

Solch ein Leinen steht mir nicht zur Verfügung, für mein Versuch nutze ich eine schöne Bahn zugekauftes handgewebtes Bauernleinen. Die Bahn ist 75cm breit, weshalb die Teile nicht teilweise nebeneinander zugeschnitten werden können, wie man das für das Original annimmt, sondern ich konnte sie hintereinander in der Stoffbahn platzieren. Dadurch musste ich nicht stückeln, wodurch sich mein Hemd vom Original schon im Zuschnitt unterscheidet. Die Größe des Hemdes und die Länge orientieren sich dabei an den Wünschen und Körpermaßen des Freundes.

Das Hemd ist an den Schultern gerade geschnitten, die Bahn geht ohne Teilung vom unteren Saum vorn durch, bis zum hinteren unteren Saum.  Im Brust- und Rückenraum ist je ein Stoffstück innen eingesetzt, das mit feinen Steppnähten beide Stoffbahnen zusammen fasst. Diese Nähte sind in der Publikation in durchgehenden Linien gezeichnet.

 

Durch die abweichende Webbreite der Stoffbahn habe ich Webkanten an Stellen die das Original nicht hat und deshalb macht es keinen Sinn jede Naht 1:1 zu kopieren.

Da dieses Hemd als leichte Sommerkleidung zur Museumsbelebung gedacht ist, wurde auf die Hinterfütterung des Rückens verzichtet., die Fütterung vorn macht jedoch die Besonderheit dieses Kleidungsstücks aus und ist deshalb unverzichtbar.

 

Die gut verschließbare Kopföffnung und die Verjüngung des Rumpfes in Hüfthöhe (hier wird das Kleidungsstück enger) weisen darauf hin, das das Hemd gut anliegend verarbeitet war. Es konnte sicherlich keinen kalten Luftzug bei Bewegung geben. Vermutlich müssten die Ärmel also gut und nicht zu weit anliegen. Auch hier wurden Zugeständnisse an moderne Bedürfnisse berücksichtigt, die Ärmel wurden so weit gearbeitet das sie sich krempeln lassen. Möglicherweise war das Original deutlich enger.

 

Große Überraschung nach der Fertigstellung :

das Hemd hat nicht das markante Aussehen der Zeichnungen die überall in der Literatur und im Netz zu finden sind.

Das Leinen ist etwas steif, das Hemd muss eingetragen werden. Ich bin gespannt wie es dem Freund passt und wie es sitzt.

Die Arbeitszeit für die Schneiderarbeiten lagen bei etwa 30 Stunden, mein Materialbedarf liegt bei 0,75m x 3,5m (4,10m will man auch die Rückenbahn doppelt haben)

Literatur :

Tidens Tand Nr 5

Mytte Fentz : an 11th Century Linen Shirt from Viborg Sonderso, Denmark

 

Tipp: das Buch ist nur noch antiquarisch im Handel erhältlich, die Fernleihe einer jeden Bibliothek  besorgt für kleines Geld seltene Bücher.